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Das Massaker von My Lai

„Ich ging zu einem großen Haus aus Steinen und guckte durch das Fenster. Sechs oder acht Menschen lagen auf dem Boden. Ein Mann ging gerade zum Fenster. Ich erschoß ihn. Dann stand da ein Mann am Kamin. Ich erschoß ihn. Einer von meinen Leuten hatte sich ein Mädchen geschnappt, seine Hosen waren schon runter. Es mag altmodisch klingen, aber ich bin gegen Vergewaltigung im Gefecht. Das gehört nicht zu unserem Job, das lenkt nur ab.An einem Wassergraben hatten meine Leute einen Haufen Leute vor sich und schossen auf sie. Ich stellte mich dazu und hielt auch hinein.“

Leutnant William Calley, von dem dieser Bericht stammt, und seine 30 Leute hatten am 16.3. 1968 innerhalb von zwei Stunden in einer sogenannten Search and destroy-Aktion, in der sie nicht ein einziges Mal unter feindlichen Beschuß gerieten, 504 Bewohner des Dorfes My Lai, darunter 173 Kinder, 76 Babys und 60 Greise, getötet – nur fünf Menschen überlebten das Massaker. Der einzige amerikanische Verletzte war ein Soldat, der sich selbst in den Fuß geschossen hatte, um nicht an dem Gemetzel teilnehmen zu müssen. „Glückwünsche den Offizieren und Mannschaften zum ausgezeichneten Gefecht“, telegrafierte der damalige Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Vietnam, General Westmoreland, der Charlie Company. Auf den Titelseiten der amerikanischen Zeitungen wurde die Aktion als großer Erfolg gegen den Viet Cong gefeiert.

Nachdem führende Militärs alles getan hatten, um die Aktion zu verschleiern, erfuhr die Öffentlichkeit erst durch die Aussagen des Soldaten Ron Ridenhour und hartnäckigen Nachforschungen einiger Journalisten Einzelheiten über das Massaker von My Lai. Als Fotos von einem Armeefotografen, welche dieser für 55 000 Dollar verkauft hatte, in den Zeitungen erschienen, ging ein Aufschrei der Entrüstung durch die amerikanische Öffentlichkeit. Nun konnte auch die Armeeführung nicht mehr verhindern, dass ein Untersuchungsausschuß eingerichtet wurde. Angeklagt wurde schließlich jedoch nur einer der am Massaker beteiligten Soldaten – Leutnant William Calley.

Doch als Calley wegen des Mordes an 102 Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, war er längst zu einem Volkshelden geworden. Mehr als 100 000 Amerikaner schrieben dem Präsidenten und forderten Calleys Begnadigung. Sein Verteidiger brachte die allgemeine Stimmung auf den Punkt, als er sagte: „Sie waren gute amerikanische Jungs, denen das Töten befohlen wurde und die nun Mörder sein sollen, weil sie ihren Job gemacht haben.“

Calley war zum Märtyer geworden. So konnte Colonel Oran Henderson, der Kommandeur von Calleys Brigade, ohne Reue sagen: „Jede Brigade in Vietnam hatte ihr My Lai, aber nicht jede hatte einen Ridenhour, der es verriet.“

Nach einer Anordnung von Präsident Nixon waren die Ergebnisse des militärischen Untersuchungsberichts über die Vorfälle von My Lai unter Verschluß gehalten worden. Erst durch dessen erzwungenen Rücktritt nach dem Watergate-Skandal, sechs Jahre nach dem Massaker, wurden Teile des Berichtes freigegeben.

Nun wurde auch amtlich bestätigt, dass jenes Massaker nicht einmalig war. Unweit von My Lai, in My Khe, ereignete sich am gleichen Tag ein ähnliches Verbrechen, bei dem über 100 Menschen getötet wurden. Kein einziger der beteiligten Gis wurde angeklagt oder verurteilt. Die vietnamesische Befreiungsfront behauptet, Massaker wie in My Lai oder My Khe habe es Anfang März 1968 in 31 Orten in Süd-Vietnam gegeben.

Unmittelbar nach dem Schuldspruch war Leutnant Calley auf Anweisung von Präsident Nixon aus dem Gefängnis entlassen und bis zur Berufungsverhandlung unter Hausarrest gestellt worden. Schnell wurde seine lebenslange Haft Haftstrafe auf 20, dann auf zehn Jahre reduziert. Doch schon nach dreieinhalb Jahren als meistprivilegierter Häftling der USA wurde Calley begnadigt. Für den Mann, der vor dem Krieg selbst als Tellerwäscher und Busschaffner gescheitert war, begann ein steiler Aufstieg. Von dem Geld, das er für Interviews und öffentliche Auftritte erhalten hatte, kaufte er sich ein Haus. Sein Leben lang hatte er kein Glück bei Frauen gehabt, doch nun war er berühmt und heiratete eine Juwelierstochter. Zum Geschäftsführer des Juwelierladens aufgestiegen, wurde er ein angesehener Mann der Stadt Columbus, dessen Bürgermeister voll des Lobes über ihn war: „Er ist einer der besten Männer, die ich je kennengelernt habe. Er spendet für alle noblen Zwecke.“

All diese glücklichen Fügungen haben William Calley zu einem zufriedenen, ausgelichenen Menschen gemacht. Gelassen schaut er auf das Massaker zurück: „Verfolgt haben mich die Toten von My Lai nie“.

Nachzulesen in Dumont Richtig Reisen herausgegeben von Thomas Barkemeier

Besuch in My Lai

Besuch in My Lai


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